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Energie­wende: Große Heraus­forderung für den Bau­verein

Was kommt in den nächsten Jahren auf die Wohnungsgenossenschaft zu, wenn aufgrund des Klimaschutzes bei der Wärmeversorgung auf Erdgas verzichtet werden muss? Die Redaktion des Mietermagazins „Treffpunkt“ hat dazu Thomas Exner und Thorsten Tooren, die hauptamtlichen Vorstände, befragt.

In den letzten Monaten hat die EU und die Bundesregierung in der Öffentlichkeit zahlreiche neue rechtliche Vorgaben angekündigt und zum Teil schon verabschiedet, die den Klimaschutz zum Ziel haben. Was sind das im Einzelnen für Vorgaben?

Exner: Umgesetzt werden muss in den nächsten zwei Jahren die Optimierung unserer Heizanlagen, falls noch nicht geschehen und bei einem Teil unserer Gebäude muss der sog. Hydraulischen Abgleich durchgeführt werden. Ab 2024 dürfen nur noch Heizanlagen neu in Betrieb genommen werden, die zu 65% mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Als Vermieter muss der Bauverein sich an den Kosten der CO2-Abgabe beteiligen.  Und es zeichnet sich ab, dass Gebäude mit schlechter Energiebilanz ab 2030 nicht mehr vermietet werden dürfen.


„Der Bauverein verfügt über 1.675 Wohnungen, die größtenteils vor 1970 gebaut wurden. Diese werden alle mit Erdgas beheizt.“

Thomas Exner, Technischer Vorstand

Was ist die größte Herausforderung, die sich aus Ihrer Sicht für den Bauverein daraus ergibt?

Exner: Die Umsetzung der vorgenannten Ziele von EU und Bundesregierung für den Klimaschutz. Klimaschutz ist gut und muss auch umgesetzt werden. Nur Klimaschutz heißt auch, dass man auf Energieträger, die CO2 produzieren, komplett verzichten muss. Kurz gesagt gilt auch für den Bauverein: Lösungen zu finden, um zukünftig auf Erdgas verzichten zu können. Erdgas war aber seit den 50er Jahren der Energieträger Nummer 1 in Ostfriesland. Der Bauverein verfügt über 1.675 Wohnungen, die größtenteils vor 1970 gebaut wurden. Diese werden alle mit Erdgas beheizt.

Hat der Bauverein hier in den letzten Jahren da einen Fehler gemacht?

Exner: Nein, das kann man nicht sagen. Der Bauverein hat keinen Fehler gemacht. Die Landkreise Aurich und Leer haben die höchsten Anteile an Erdgasheizungen im gesamten Bundesgebiet. Das kommt nicht von ungefähr. Der Ausbau der Gasnetze seit den 60er Jahren hat Erdgas in allen Kommunen in Ostfriesland zum Energieträger Nummer 1 werden lassen. Fernwärme, wie man sie aus dichter besiedelten Regionen mit Industriebetrieben kennt, sind so gut wie nicht vorhanden.

Tooren: Die überwiegende Anzahl unserer Gebäude wurde vor 1970 errichtet, Erdgas war damals alternativlos. Die in den letzten Jahrzehnten aufgekommenen alternativen Wärmekonzepte waren für den Bauverein als kleine Genossenschaft, die bezahlbaren Wohnraum schaffen soll, schlichtweg nicht zu bezahlen. Für uns stand die Wirtschaftlichkeit immer im Vordergrund, um die Mieten bezahlbar zu halten. Und einfach die Mieten entsprechend anzuheben, war für uns als Genossenschaft keine Lösung.


„Die Versorgung einzelner Hauseingänge mit jeweils einer eigenen Wärmepumpe kann nicht die beste Lösung sein.“

Thomas Exner, Technischer Vorstand

Wie steht es jetzt um die Wirtschaftlichkeit der neuen Wärmekonzepte. Hat sich da inzwischen etwas verbessert?

Exner: Leider Nein. Das Gegenteil ist der Fall. Während Wärmepumpen von vielen Seiten als die beste Alternative gepriesen werden, sagen uns Fachleute, dass eine Quartierslösung, also größere Zentralen zur Versorgung mehrerer Gebäude, am wirtschaftlichsten und am sinnvollsten ist. Dafür gibt es aber derzeit keine Konzepte. Die Versorgung einzelner Hauseingänge mit jeweils einer eigenen Wärmepumpe kann nicht die beste Lösung sein. Diese kosten ein Vielfaches der bisherigen Heizungsanlagen. Und angesichts der starken Nachfrage werden die Preise wahrscheinlich auch auf absehbare Zeit nicht sinken. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Während eine Gasbrennwertheizung grob 10.000,- EUR kostet, stehen dem bei der Anschaffung einer Wärmepumpe Kosten von 30.000,- EUR gegenüber. Und dabei bleibt es nicht. Denn um eine Wärmepumpe wirtschaftlich zu betreiben, ist es nicht nur sinnvoll, sondern schon ein MUSS, diese mit einer Photovoltaik-Anlage und bestenfalls mit einem Batteriespeicher zu ergänzen.

Energieeinsparung ist ja schon seit Jahren ein Thema. Was hat der Bauverein hier bisher unternommen?

Exner: Wie gesagt, ein Großteil unserer Gebäude wurde vor 1970 gebaut. Schon unsere Vorgänger haben die energetische Sanierung frühzeitig auf den Weg gebracht, die wir mit Hochdruck fortführen und vorantreiben. Unsere Gebäude werden dabei mit neuen Dächern versehen, die Keller- und die oberste Geschossdecke mit einer Dämmung ausgeführt und die glücklicherweise vorhandene Hohlschicht des Außenmauerwerks mit einer Steinwolldämmung ausgeblasen. Hinzu kommt der seit ein paar Jahren verstärkte Austausch von alten Kunststofffenstern. Das nimmt einen Großteil unseres Instandhaltungs- und Modernisierungsbudgets von 3,0 Mio. EUR jährlich in Anspruch. Auch muss man heute feststellen, dass vor vielen Jahren im Unternehmen die richtige Entscheidung getroffen worden ist, eine Umstellung von Einzelthermen auf Sammelheizungsanlagen durchzuführen. Ungefähr 60% unseres Bestandes ist mittlerweile an Heizzentralen angeschlossen. Das hilft jetzt enorm bei der Einführung neuer Wärmekonzepte, da es wesentlich einfacher ist, zentrale Wärmesysteme umzustellen als viele einzelnen Gasthermen. Ein weiterer großer Vorteil der zentralen Anlagen für unsere Mieter ist, dass der Bauverein Leer eG so mit Energieversorgern günstige Rahmenverträge mit einer mehrjährigen Preisbindung abschließen kann.  

Tooren: Bei aller Technik darf man aber auch das Nutzerverhalten nicht vergessen. Durch falsches Lüften und Heizen kann der Einspareffekt durch die energetische Sanierung komplett vernichtet werden. Hier muss auch jeder Mieter seinen Teil der Verantwortung übernehmen. Wir informieren dazu regelmäßig – online und auch im Treffpunkt.

Wie sehen denn nun die nächsten Schritte aus?

Tooren: Wir erstellen in den kommenden Monaten einen sog. Klimapfad, der uns den Weg vorgibt, wie wir den CO2-Fußabdruck des gesamten Bestandes auf einen angemessenen Zielwert für das Jahr 2045 reduzieren können. Ein erster Schritt dafür ist die Erstellung einer CO2-Bilanz. Diese wird uns zeigen, welchen CO2-Fußabdruck die jeweiligen Gebäude haben. Dadurch werden die Gebäude ermittelt, die als erstes bearbeitet werden müssen.

Exner: Für diese Objekte gilt es dann zu ermitteln, welche Maßnahmen wir ergreifen müssen. So ergibt sich eine eigene Klimastrategie, die bis zum Jahr 2045 das Handeln des Bauvereins stark bestimmen wird.

Was für Maßnahmen könnten das sein?

Exner: Die Fortsetzung der energetischen Sanierung, die Optimierung der Heizanlagen, damit verbunden die Fortführung der Umstellung von Einzelthermen auf Sammelheizungsanlagen und anschließend deren Fernüberwachung und -steuerung sowie nach und nach der Einbau von Wärmeerzeugern. Diese müssen die Anforderung der EU und Bundesregierung erfüllen und mit mindesten 65% erneuerbaren Energien betrieben werden. Und zur Wahrheit gehört dazu, unter Umständen auch Gebäude, bei denen eine Ertüchtigung nicht wirtschaftlich umzusetzen ist, abzureißen und Ersatzbauten vorzunehmen. Jedes Gebäude muss auf den Prüfstand gestellt werden.

Tooren: Die Klimastrategie wird unsere Genossenschaft vor große wirtschaftliche Herausforderungen stellen. Ohne jetzt das Thema Wohnkomfort gegen Klimaschutz ausspielen zu wollen, fest steht, man kann den Euro nur einmal ausgeben. Vorrangig wird zukünftig der Klimaschutz vorgehen. Vereinfacht gesagt: Klimaschutz zuerst – Schönheit kommt später.


„Wenn wir uns als Genossenschaft zukunftsfähig aufstellen wollen, dann wäre ein Verzicht auf Mieterhöhungen der falsche Weg.“

Thorsten Tooren, Kaufmönnischer Vorstand

Was bedeutet das für die Mieter?

Tooren: Der Bauverein muss die Investitionen in die Gebäude finanzieren. Dazu sind Kredite notwendig, da die Einnahmen durch die Mieten nicht ausreichen. Die seit 2022 deutlich gestiegenen Zinsen werden zu einer finanziellen Mehrbelastung der Genossenschaft führen. Die kann nur durch höhere Mieten geschultert werden, wenn der Bauverein auch weiterhin in seinen Bestand investieren will. Und das müssen wir, wenn wir auch zukünftig gutes, sicheres und sozial verantwortbares Wohnen bieten wollen, so wie es unsere Satzung auch vorschreibt. Wir streben eine Mietanpassung von 5,5 % an.

Exner: Und was leider auch noch hinzu kommt, dass mit einem deutlichen Anstieg der Heizkosten zu rechnen ist. Grund sind die auslaufenden Rahmenverträge zur Gasversorgung, die bis Ende 2024 noch einen günstigen Gaspreis sichern, und die Erhebung der CO2-Abgabe.

Wäre bei den derzeitig überall steigenden Kosten nicht ein Verzicht auf Mieterhöhungen notwendig?

Tooren: Wenn wir uns als Genossenschaft zukunftsfähig aufstellen wollen, dann wäre ein Verzicht auf Mieterhöhungen der falsche Weg. Gemeinsam schaffen, was man alleine nicht schafft. Das genossenschaftliche Prinzip funktioniert – aber eben auch nur, wenn jeder seinen Beitrag leistet.

Exner: Der Vorstand ist sich seiner Verantwortung für die Mieter bewusst. Wir stimmen solche Entscheidungen eng mit dem Aufsichtsrat ab und entscheiden uns sehr bewusst für Mietanpassungen. Wir machen es uns nicht leicht. Und wir wissen, dass es den Mietern auch nicht leicht fällt. Daher achten wir auch sehr darauf, die Nebenkosten durch Rahmenverträge und energetische Sanierungen nicht zu stark wachsen zu lassen.

Mit welchen Kosten rechnet der Bauverein insgesamt für die Umsetzung des Klimapfades?

Exner: Dazu liegen uns heute vorerst nur erste Schätzungen vor, die wir in den Wirtschafts- und Finanzplan einbauen. Dieser wird immer für die kommenden 10 Jahre angefertigt und jährlich angepasst. Jährlich planen wir für Instandhaltung 1,5 Mio. EUR und weitere 1,5 Mio. EUR für Modernisierungen ein. Wir werden das Budget um weitere 500.000,- EUR aufstocken. Und dann – wie gesagt – entlang des Klimapfades die Schritte gehen, die notwendig sind, um auf Erneuerbare Energieträger umzustellen. Diese Umstellung muss bis 2045 erfolgt sein.

Das hört sich nach einer starken wirtschaftlichen Belastung an. Wie sieht es dann mit dem Neubau-Programm aus? Wird das vorerst eingestellt?

Tooren: So, wie es derzeit auf dem Wohnungsmarkt im Landkreis Leer aussieht, wäre es nicht im Sinne unserer Satzung, würden wir keine neuen Wohnungen errichten. Diese werden dringend benötigt. Daher werden wir auch zukünftig neuen Wohnraum errichten, deren Mietpreis sich im Rahmen der Miethöhen bewegt, der als bezahlbar gilt – sich also rund um 8 EUR pro qm bewegt. Bei Neubauten im geförderten sozialen Wohnungsbau liegen die Mieten etwas günstiger.

Exner: Wir hoffen, dass die Bundes- und Landespolitik zukünftig Förderprogramme anbietet, die neben dem Ziel Klimaschutz auch die Schaffung bezahlbaren Wohnraums im Blick hat. Wir als Wohnungsgenossenschaft sind auf eine verlässliche Förderkulisse angewiesen, um bezahlbaren Wohnraum nicht nur zu schaffen, sondern auch in den kommenden Jahrzehnten nachhaltig zu bewirtschaften. In welchem Tempo wir unsere geplanten Neubauten umsetzen können, hängt maßgeblich von den Zinsen, den Baukosten und den Handwerkskapazitäten ab.


„Was uns zuversichtlich stimmt, ist, dass wir als Genossenschaft wirtschaftlich sehr gut aufgestellt sind und als Gemeinschaft funktionieren.“

Thomas Exner, Technischer Vorstand

Das waren nun viele Informationen. Wie informieren Sie die Mieter über die weitere Entwicklung?

Tooren: Wir berichten ja jährlich auf der Mitgliederversammlung und in unserem ausführlichen Geschäftsbericht. Zusätzlich nutzen wir aber auch unsere Website, den monatlichen Newsletter, Aushänge und den „Treffpunkt“. Wir wollen unsere Mitglieder in diesen bewegten Zeiten möglichst gut informieren, damit die Entscheidungen des Vorstands nachvollzogen werden können.

Exner: Wir sind uns bewusst, dass zeitnahe und gute Informationen besonders dann wichtig sind, wenn die Entscheidungen auch finanzielle Belastungen für Mieter bedeuten. Was uns zuversichtlich stimmt, ist, dass wir als Genossenschaft wirtschaftlich sehr gut aufgestellt sind und als Gemeinschaft funktionieren.


Bild: pixabay; Das Interview ist in der Ausgabe 01-2023 des Mietermagazins „Treffpunkt“, die am 14.04.2023 erschienen ist, veröffentlicht worden.

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